Nicht nur im Rahmen der Transformation der Arbeitswelt, sondern vor allem auch durch Lockdown und Kontaktbeschränkungen, waren virtuelle Einigungsstellen bis zum vergangenen Sommer ein beliebtes Mittel der Konfliktlösung. Als die damals neu geschaffene Regelung des § 129 Betriebsverfassungsgesetz über virtuelle Einigungsstellen den 31. Juni 2021 nicht überdauerte, wurden die Diskussionen über die Zulässigkeit der virtuellen Einigungsstelle auch über das Datum hinaus innerhalb der juristischen Arbeitswelt lebhaft geführt. Nun gibt es seit dem 11. Dezember 2021 eine Änderung, die den entfachten juristischen Streit nun endgültig erledigt hat.

Was bisher geschah

Bis zum 31. Juni 2021 war die Gesetzeslage in Bezug auf virtuelle Einigungsstellen klar. Durch die Corona-Pandemie hat der Gesetzgeber schnell erkannt, dass es für Sitzungen des Betriebsrates und der Einigungsstellen kein „Weiter-so“ gab. Aus diesem Grund wurde der § 129 Betriebsverfassungsgesetz neu erlassen, der zum 1. März 2020 in Kraft trat. Der § 129 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz in Verbindung mit § 129 Absatz 1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz stellte klar, dass die Teilnahme an Sitzungen der Einigungsstelle mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen kann, wenn ermöglicht wird, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keinerlei Kenntnis nehmen können. Damit konnten Betriebsräte in der Pandemie handlungsfähig bleiben und auch Einigungsstellen profitierten davon.

In diesem Sommer ist diese Regelung  jedoch ausgelaufen, obwohl das Ende der Pandemie noch nicht in Sicht war. Es bestand weiterhin ein erhöhtes Infektionsrisiko in Präsenzsitzungen. Ein Risiko, zu welchem auch nicht jeder Teilnehmer – selbst unter Berücksichtigung von 3G-, 2G- oder auch 2G+-Regelungen – bereit war. Kaum zu glauben, bedenkt man die Tatsache, dass die virtuellen Einigungsstellensitzungen sich in den vergangenen Monaten nicht nur als praktikabel und zielführend, sondern auch als kosteneffizient erwiesen haben.

Für Sitzungen der Betriebsräte wurde nunmehr durch die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes vom Gesetzgeber ermöglicht, dass sie unter gewissen Voraussetzungen weiterhin digital durchgeführt werden können. Ein zaghafter Schritt in Richtung Digitalisierung der Mitbestimmung, der schon lange nötig war. Eine Ersatzregelung für virtuelle Einigungsstellen wurde indes nicht geschaffen. War dies ein klares Votum gegen virtuelle Einigungsstellen? Oder waren virtuelle Einigungsstellen schon vor der Pandemie möglich und wurden jedoch nur kaum umgesetzt?

Vorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes

Ein Blick ins (Betriebsverfassungs-)Gesetz war bei der Beantwortung der Frage nach der Rechtssicherheit virtueller Einigungsstellen bis zum 11. Dezember 2021 nur bedingt hilfreich. Spärliche Vorgaben zur Einigungsstelle finden sich in dem § 76 Betriebsverfassungsgesetz. Zwar folgt aus § 76 Absatz 3 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz die Pflicht zur Präsenzsitzung für die Beschlussfassung, jedoch eröffnet der § 76 Absatz 4 Betriebsverfassungsgesetz die Möglichkeit, dass weitere Einzelheiten durch eine Betriebsvereinbarung durch die Parteien geregelt werden kann. Dies könnte das Einfallstor zu einem digitalen Einigungsstellenverfahren sein. Gleichermaßen bedeutet diese Möglichkeit jedoch nicht, dass von dem Grundsatz des § 76 Absatz 3 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz, der Mündlichkeit erfordert, abgewichen werden darf. Der Grundsatz der Mündlichkeit muss also auch trotz möglicher Absprachen zwischen den Betriebsparteien gewahrt werden. Eine Antwort auf die Frage, ob ein digitales Einigungsstellenverfahren dem Grundsatz der Mündlichkeit genügt, ist konkret nicht im Betriebsverfassungsgesetz zu finden.

Wie „mündlich“ ist die virtuelle Einigungsstelle?

Diese Frage beschäftigte seit Wegfall des alten § 129 Betriebsverfassungsgesetz die Arbeitsrechtsexperten dieses Landes. Einige Stimmen der Literatur und auch der in Praxis tätigen Einigungsstellenvorsitzenden gehen fest davon aus, dass der Grundsatz der Mündlichkeit auch innerhalb eines virtuellen Einigungsstellenverfahrens gewahrt werden kann. Ihrer Ansicht nach müssen nicht immer körperlich anwesende Betriebsparteien in den Diskurs treten, zumindest nicht dann, wenn es sich dabei nicht um die finale mündliche Beratung der stimmberechtigten Mitglieder oder die Beschlussfassung handelt. „Mündlichkeit“ kann in ihren Augen auch „Fernmündlichkeit“ bedeuten – und zwar auch schon vor dem Inkrafttreten des alten § 129 Betriebsverfassungsgesetz, der in ihren Augen nur eine klarstellende Funktion erfüllte.

Wegfall des § 129 Betriebsverfassungsgesetz im Sommer 2021

Diese Argumentation erscheint in Anbetracht des eindeutigen Wortlautes und dem ersatzlosen Wegfall des § 129 Betriebsverfassungsgesetz wenig überzeugend. Würde ein digitales Einigungsstellenverfahren dem geforderten Mündlichkeitsgrundsatz wahren, so hätte es gar keine Notwendigkeit für den vorübergehenden § 129 Betriebsverfassungsgesetz gegeben, der nun zunächst weggefallen ist. Der § 129 Betriebsverfassungsgesetz hat eine Ausnahme für Präsenzverhandlungen der Betriebsratssitzungen und Einigungsstellenverfahren normiert. Nach Wegfall der Norm hat sich der Gesetzgeber im Rahmen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes und innerhalb des neu gefassten Betriebsverfassungsgesetzes explizit für digitale Sitzungen von Betriebsräten, jedoch nicht für das digitale Einigungsstellenverfahren entschieden. Der § 33 Absatz 1 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz stellt die Fiktion auf, dass Betriebsratsmitglieder, die mittels Video- und Telefonkonferenz an der Beschlussfassung teilnehmen, als anwesend gelten. Der Gesetzgeber eröffnet damit den Raum für digitale Betriebsratssitzungen. Gleiches geschieht jedoch nicht für das Einigungsstellenverfahren. Eine ähnliche Fiktion für das Einigungsstellenverfahren aufzustellen, wäre dem Gesetzgeber im Rahmen der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes nun ein Leichtes gewesen. Obwohl der Gesetzgeber, der die Thematik in dem weggefallenen § 129 Betriebsverfassungsgesetz gesehen hat, die Chance hatte, fügte er keine ähnliche Regelung für das Einigungsstellenverfahren ein.

Aktuelle Regelung ab dem 11. Dezember 2021: Virtuelle Einigungsstelle derzeit wieder möglich

Dank des „Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie“ wurde der § 129 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz (er)neu(t) geschaffen, der nun am 11. Dezember 2022 in Kraft getreten ist:

(2) Die Teilnahme an Sitzungen der Einigungsstelle sowie die Beschlussfassung können bis zum Ablauf des 19. März 2022 auch mittels einer Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. Die Teilnehmer, die mittels Video- und Telefonkonferenz teilnehmen, bestätigen ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden der Einigungsstelle in Textform.

Dadurch wurde die virtuelle Einigungsstelle erneut für zulässig erklärt, wenn wenn ermöglicht wird, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keinerlei Kenntnis nehmen können. Die Regelung gilt allerdings nur bis zum 19. März 2022. Ob danach eine Verlängerung eintritt, ist aus epidemiologischen Gesichtspunkten aktuell noch nicht vorhersehbar. Die Tatsache, dass erneut eine solche befristete Regelung vom Gesetzgeber geschaffen wurde, zeigt deutlich, dass virtuelle Einigungsstellen, in denen die Beschlussfassung erfolgen soll, nicht per se vom Gesetzgeber gewünscht und erfasst sind.

Meine Gedanken zu virtuellen Einigungsstellen

Obgleich die digitale Einigungsstelle sicherlich einige Vorteile für alle Verfahrensbeteiligte mit sich bringt, hat sich der Gesetzgeber leider im Rahmen des neuen Betriebsverfassungsgesetzes aus dem vergangenen Jahr klar dagegen entschieden. Das zeigt nun vor allem die neue gesetzliche Regelung des „Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie“, der einen neuen § 129 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz geschaffen hat. Nach jetzigem Stand sind virtuelle Einigungsstellen nun nämlich wieder möglich, jedoch nur bis zum 19. März 2022. Die Tatsache, dass erneut eine solche Regelung erschaffen wurde, die virtuelle Einigungsstellen ermöglicht , zeigt ganz deutlich, dass der Gesetzgeber zumindest die Beschlussfassung innerhalb einer virtuellen Einigungsstelle als unzulässig ansieht.

Unabhängig von der epidemiologischen Lage wäre die Zulässigkeit virtueller Einigungsstellen wünschenswert. Ich bin gespannt, ob eine umfassende Einführung durch die Ampel-Koalition noch in dieser Legislaturperiode angestrebt wird und werde Änderungen diesbezüglich im Auge behalten.

Mehr über Dr. Oliver Schmidt-Westphal, LL.M.

Zukunftsweisender Game Changer, Navigator mit Augenmaß und & unabhängiger Schrittmacher. Als kompetenter Experte der Arbeitswelt berate ich Sie zu allen Fragestellungen, die sich im Rahmen der modernen Berufswelt stellen und stehe Ihnen mit besonderer Expertise in den Bereichen Arbeits- und Mitbestimmungsrecht, digitale Transformation, künstliche Intelligenz und globale Lieferketten zur Seite. Als Fachanwalt für Arbeitsrecht, Change Manager und auch als Mensch.