Nach 16 Jahren endete in dieser Woche die Ära Angela Merkel. Olaf Scholz wurde zum neunten Bundeskanzler gewählt und während sich der Trubel so langsam legt, möchte ich heute die Pläne der Ampel-Koalition für die Arbeitswelt ein wenig näher beleuchten. Obwohl sich Deutschland in den letzten Jahren wirtschaftlich stabil zeigte, sind viele Felder reformbedürftig – so auch die Arbeitswelt, die mir ganz besonders am Herzen liegt.

Vor diesem Hintergrund erscheint „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.“ als Überschrift für den Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP verheißungsvoll, aber halten die 178 Seiten auch das, was sie versprechen? Als Navigator der Arbeitswelt schaue ich bei dieser Fragestellung vor allem auf das vierte Kapitel „Respekt, Chancen und soziale Sicherheit in der modernen Arbeitswelt“, welches sich inhaltlich mit den geplanten Änderungen der Arbeitswelt in der kommenden Legislaturperiode befasst. So viel vorab: Aus den Wahlprogrammen, welche ich hier bereits hier näher analysiert habe, wurden nur einige Punkte in den Koalitionsvertrag aufgenommen.

Mit diesem Beitrag werde ich die wichtigsten Änderungen der Ampel-Koalition für Arbeitgeber und Arbeitnehmer näher beleuchten und kurz einordnen. Der Beitrag soll vorerst einen Überblick geben, in der Zukunft werde ich den ein oder anderen Aspekt sicherlich noch einmal ausführlicher im Rahmen eines umfassenden Blogbeitrages thematisieren.

Erhöhung des Mindestlohns

Die Handschrift der Sozialdemokraten, für die Hubertus Heil auch weiterhin das Bundesministerium für Arbeit und Soziales führt, kommt an vielen Stellen des Koalitionsvertrages zum Vorschein. Das Herzensthema der Erhöhung des Mindestlohns, welches Olaf Scholz als Bedingung für eine Koalition machte, hat seinen Niederschlag gefunden. Etwas anderes war wohl auch nicht zu erwarten, da auch die Grünen für die avisierte Erhöhung geworben haben. Der Mindestlohn wird angehoben von aktuell 9,60€/brutto (ab dem 01.01.2022: 9,82€/brutto) auf 12€/brutto pro Arbeitsstunde.

Das ist eine deutliche Erhöhung von 25%, welche die Beschäftigten freuen wird – spiegelbildlich jedoch zu Kostensteigerungen führen wird. Nach dieser einmaligen Anhebung soll weiterhin die bestehende unabhängige Mindestlohnkommission die Löhne gestalten. Wann die Erhöhung stattfinden wird, ist aktuell noch nicht bekannt. Im Sondierungspapier hieß es noch, dass der Mindestlohn im ersten Regierungsjahr kommen soll.

Änderungen für Mini- und Midi-Jobs

Hand in Hand mit Erhöhung des Mindestlohns geht auch die Anhebung der Grenzen für Mini- und Midi-Jobber. Für Mini-Jobs gilt dabei eine Entgeltgrenze in Höhe von 520€ pro Monat. Die Midi-Job Entgeltgrenze soll dabei von 1.300€ auf 1.600€ angehoben werden.

Eine Veränderung, welche vor allem die FDP erfreut, wurde sie doch in ihrem Wahlprogramm gefordert. So werden die teilweise sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse noch attraktiver für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Fazit: Die unsicheren Mini- und Midi-Jobs bleiben, ermöglichen aber einen höheren Zuverdienst.

Veränderungen in Bezug auf die Arbeitszeit

Grundsätzlich bleibt es bei dem Acht-Stunden-Arbeitstag, jedoch soll im kommenden Jahr das Arbeitszeitgesetz um eine befristete Regelung mit Evaluationsklausel ergänzt werden. Man möchte sogenannte „Experimentierräume“ im Rahmen eines Tarifvertrags schaffen, die die Tageshöchstarbeitszeit betreffen. Nicht-tarifgebundene Unternehmen können diese Möglichkeit damit voraussichtlich nicht für sich nutzen. Zudem sollen flexiblere Arbeitszeiten nur befristet und „unter bestimmten Voraussetzungen“ sowie in „einzuhaltenden Fristen“ möglich sein.

An sich wird damit nicht an dem Acht-Stunden-Arbeitstag gerüttelt, der Tenor lässt eher auf ein Pilotprojekt hindeuten.

Home Office als neuer Standard?

Die Pandemie veränderte unser Leben von heute auf morgen. So auch die Arbeitswelt! Für die Arbeitswelt war die Pandemie ein Transmissionsriemen, der vor allem das mobile Arbeiten in Form der Teleheimarbeit förderte. Von jetzt auf gleich mussten Arbeitgeber ihre Angestellten ins Home Office entsenden – und viele sind dort auch gern geblieben. Denn was in technischer und rechtlicher Hinsicht oft für Herausforderungen sorgte, erfreute sich vor allem auch bei Angestellten großer Beliebtheit.

Hubertus Heil wollte schon in der vergangenen Legislaturperiode ein „Recht auf Home Office“ für 24 Tage im Jahr einführen, scheiterte dann jedoch an der CDU. Dieses Mal stellt sich die FDP gegen ein „Recht auf Home Office“. Allerdings einigte man sich auf einen sogenannten „Erörterungsanspruch“ des Arbeitnehmers. Nach diesem kann der Arbeitgeber nur bei entgegenstehenden betrieblichen Belangen das Home Office-Gesuch ablehnen. Außerdem sollen Abweichungen durch Tarifvertrag ermöglicht werden.

Was sich auf den ersten Blick positiv anhört, trägt doch Einiges an Konfliktpotenzial zwischen den Betriebsparteien in sich. Welche Anforderungen man an die „betrieblichen Belange“ stellt, bleibt vorerst unklar. Der Teufel steckt hier also im Detail.

Chance auf Aus- und Weiterbildung

Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren rasant verändert! Es gab kaum Branchen, vor denen die Digitalisierung und Internationalisierung Halt gemacht haben. Oftmals ist es nicht mehr so, dass eine Qualifikation für das gesamte Berufsleben genügt. Notwendige Qualifikationen ändern sich mittlerweile mehrmals im Laufe eines Berufslebens. Die Koalition trägt dieser Entwicklung nun Rechnung.

Im Koalitionsvertrag sind verschiedene ausbildungsbegleitende und weiterbildungsbegleitende Hilfen enthalten, wie eine Ausbildungsteilzeit nach dem österreichischem Modell, ein Qualifizierungsgeld und auch der Ausbau des BAFöG.

In meinen Augen war die Verbesserung der Chance auf Aus- oder Weiterbildung längst überfällig. Was mich aktuell noch verhalten stehen lässt: Betriebsvereinbarungen bedingen das Qualifizierungsgeld. Was geschieht in Betrieben ohne Betriebsrat? Ein Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung von Betrieben mit und ohne Betriebsrat ist nicht ersichtlich. Der Staat ist demnach an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. Ich bin gespannt, wie die Ausgestaltung aussehen wird.

Betriebliche Mitbestimmung

Schon 2021 wurde die betriebliche Mitbestimmung gestärkt. So haben die Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz nicht nur die Wahl zum Betriebsrat verändert, sondern auch generell die Rechte des Betriebsrats gestärkt. Leider blieb die Digitalisierung dabei bisher noch teilweise unberücksichtigt. Die Ampel-Koalition erkannte, dass die betriebliche Mitbestimmung noch weiterentwickelt werden muss, um der Transformation der Arbeitswelt gerecht zu werden.

So sollen Betriebsräte fortan frei entscheiden, ob sie digital oder analog arbeiten möchten. Zwar sind aktuell Betriebsratssitzungen via Videokonferenz möglich, jedoch haben Präsenzsitzungen Vorrang. Dies führt nicht nur zu einer Entscheidungsfreiheit der Betriebsräte, sondern bringt auch die Pflicht des Arbeitgebers mit sich, e passende Infrastruktur dafür bereitzustellen. Daneben soll in einem Pilotprojekt auch die digitale Betriebsratswahl möglich sein.

Die neue Regierung beabsichtigt die betriebliche Mitbestimmung weiter zu stärken und einem Missbrauch vorbeugen. Behinderung oder Störung der Betriebsratsarbeit ist auch bisher unter Strafe gestellt – wird jedoch nur auf Antrag verfolgt. Das Antragserfordernis soll in der kommenden Zeit entfallen. Die Störung der demokratischen Mitbestimmung wird damit zum Offizialdelikt.

Unternehmensmitbestimmung

Die Unternehmensmitbestimmung soll weiterentwickelt werden. Durch den Einfriereffekt soll es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen. So soll die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen werden, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt.

Tarifverträge

Die Ampel-Koalition plant die Stärkung der Tarifautonomie, der Tarifpartner und der Tarifbindung, damit faire Löhne in Deutschland gezahlt werden. Dadurch erhöht sie den Druck auf Unternehmen, Tarifverträge abzuschließen. So soll die öffentliche Auftragsvergabe nur noch an Unternehmen stattfinden, die einen repräsentativen Tarifvertrag der jeweiligen Branche einhält. Auch Änderungen der Arbeitszeit sollen nur durch Tarifvertrag möglich sein. Betriebsausgliederung bei Identität des bisherigen Eigentümers zum Zwecke der Tarifflucht sollen verhindert werden, indem die Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags sichergestellt werden soll.

Stärkung der Gewerkschaften durch die Ampel-Koalition

Die Rechte der Gewerkschaften sollen gestärkt werden. So sollen sie einen digitalen Zugang zum Betrieb erhalten. Dieser soll dem analogen Zugangsrecht aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz entsprechen. Wie dieser konkret umgesetzt wird, ist noch nicht ersichtlich, es bleibt spannend.

Neuerung im Befristungsrecht

Ein Punkt, der Unternehmen sicherlich nicht glücklich stimmen wird. Die Ampel-Koalition plant eine Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren für mit Sachgrund befristete Arbeitsverträge. Diese Dauer dürfte nur in Ausnahmefällen in engen Grenzen überschritten werden. Die sachgrundlose Befristung soll weiterhin erhalten bleiben.

Bisher war es so, dass Sachgrund-Befristungen zumindest nach dem Gesetz zeitlich unbegrenzt möglich waren. Die Rechtsprechung sah nur in extremen Ausnahmefällen einen Rechtsmissbrauch. Eine klare Grenze wird nun zur Rechtssicherheit führen.

Diese Veränderung dämmt die flexiblere Personalplanung für Unternehmen ein, ist aus sozialen Erwägungen aber durchaus begrüßenswert und sorgt für mehr Sicherheit in der Lebensplanung der Arbeitnehmer.

Digitale Plattformen

Der Fortschritt wird auch in Form von digitalen Plattformen durch die Ampel-Koalition begrüßt. So erkennt man sie als Bereicherung für die Arbeitswelt an, ein Regulierungsbedarf wird nicht angesprochen. Zu dem Thema Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt äußert sich die Ampel-Koalition leider nur kryptisch – so bleibt es vorerst nur bei der folgenden Aussage:„Bei der Gestaltung von KI in der Arbeitswelt setzen wir auf einen menschenzentrierten Ansatz, soziale und wirtschaftliche Innovation ebenso wie Gemeinwohlorientierung.“

Mein Fazit zu den Plänen der Ampel-Koalition für die moderne Arbeitswelt

Was zu erwarten war: Vieles ist noch unklar. Der Koalitionsvertrag nimmt zwar zahlreiche Vorhaben für die Arbeitswelt ins Visier, bleibt jedoch teilweise noch sehr vage. Nichts Ungewöhnliches in Anbetracht des aktuellen Zeitpunkts dieser Legislaturperiode. Einige Veränderungen werden dem Selbstanspruch „Mehr Fortschritt wagen“ gerecht. Trotzdem gehen mir die Pläne an vielen Stellen noch nicht weit genug. Es bleibt spannend, wie die rechtliche Umsetzung aussehen wird.

Auf die rechtliche Umsetzung werde ich in Zukunft auch noch in separaten Blogbeiträgen eingehen und aufzeigen, wie Arbeitgeber auf die Neuregelungen reagieren können. Bei allen aufkommenden Fragen stehe auch gern für den persönlichen Diskurs zur Verfügung und freue mich über Nachrichten – entweder über meine Social Media Accounts oder das Kontaktformular.

Mehr über Dr. Oliver Schmidt-Westphal, LL.M.

Zukunftsweisender Game Changer, Navigator mit Augenmaß und & unabhängiger Schrittmacher. Als kompetenter Experte der Arbeitswelt berate ich Sie zu allen Fragestellungen, die sich im Rahmen der modernen Berufswelt stellen und stehe Ihnen mit besonderer Expertise in den Bereichen Arbeits- und Mitbestimmungsrecht, digitale Transformation, künstliche Intelligenz und globale Lieferketten zur Seite. Als Fachanwalt für Arbeitsrecht, Change Manager und auch als Mensch.